F51 nichtorganische Schlafstörungen


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Diese Gruppe von Störungen umfaßt

a. Dyssomnien: primär psychogene Zustandsbilder mit einer Störung von Dauer, Qualität oder Zeitpunkt des Schlafs aufgrund emotionaler Ursachen d.h. Insomnie, Hypersomnie und Störungen des Schlaf Wach Rhythmus.

b. Parasomnien: abnorme Episoden, die während des Schlafs auftreten; in der Kindheit haben sie meist Bezug zur kindlichen Entwicklung, während sie im Erwachsenenalter vorwiegend psychogen sind, d.h. Schlafwandeln, Pavor nocturnus und Alpträume.

Dieser Abschnitt beinhaltet nur Schlafstörungen, bei denen emotionale Ursachen einen primären Faktor darstellen. Schlafstörungen organischen Ursprungs wie das Kleine-Levin syndrome (G47.8) werden in dem Kapitel VI (G47) der ICD-10 klassifiziert. Nicht-psychogene Störungen, einschließlich Narkolepsie und Kataplexie (G47.4) und Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus ( (G47.2)) werden ebenfalls im Kapitel VI der ICD-10 aufgeführt, ebenso wie Schlafapnoe (G47.3), sowie episodische Bewegungsstörungen mit nächtlichen Myoklonien (G25.3). Die Enuresis (F98.0) ist bei sonstigen Verhaltens- und emotionalen Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend aufgeführt. Eine primäre Enuresis nocturna (R33.8) dagegen, die als Folge einer verzögerten Reifung der Blasenkontrolle während des Schlafes anzusehen ist, ist im Kapitel XVIII der ICD-10 unter den Symptomen des urogenitalen Systems zu klassifizieren.

In vielen Fällen ist die Schlafstörung Symptom einer anderen psychischen oder körperlichen Krankheit. Selbst wenn klinisch eine spezifische Schlafstörung besteht, können eine Reihe von zusätzlichen psychiatrischen oder körperlichen Faktoren zu ihrem Auftreten beitragen. Ob eine Schlafstörung bei einer bestimmten Person ein eigenständiges Krankheitsbild oder einfach Merkmal einer anderen Erkrankung (klassifiziert andernorts in Kapitel V oder in anderen Kapiteln der ICD-10) ist, kann nur aufgrund des klinischen Erscheinungsbildes, des Verlaufs sowie therapeutischer Überlegungen und Prioritäten zum Zeitpunkt der Konsultation entschieden werden. Wenn die Schlafstörung eine Hauptbeschwerde des Patienten ist, sollte eine Diagnose aus diesem Abschnitt gestellt werden. Die Diagnose einer spezifischen Schlafstörung ist durch so viele weitere Diagnosen zu ergänzen, daß Psychopathologie oder Pathophysiologie eines bestimmten Falles angemessen beschrieben werden.

Ausschluß:

organische Schlafstörungen (G47.)


F51.0 nichtorganische Insomnie


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Insomnie ist ein Zustandsbild mit einer ungenügenden Dauer oder Qualität des Schlafs, die über einen beträchtlichen Zeitraum bestehen bleibt. Die tatsächliche Abweichung von der allgemein als normal geltende Schlafdauer, sollte nicht das Hauptkriterium für die Diagnose einer Insomnie sein, da manche Menschen nur sehr wenig Schlaf brauchen und sich nicht als schlafgestört betrachten (sogenannte Kurzschläfer). Im Gegensatz dazu gibt es Patienten, die unter der schlechten Qualität ihres Schlafes leiden, trotz subjektiv oder objektiv normaler Schlafdauer.

Die schlafgestörten Personen klagen am häufigsten über Einschlafstörungen, gefolgt von Durchschlafstörungen und morgendlichem Früherwachen. Häufig ist die Kombination mehrerer dieser Beschwerden. Eine Insomnie entwickelt sich typischerweise in zeitlichem Zusammenhang mit stärkeren Belastungen im Leben und tritt gehäuft bei Frauen, älteren Menschen, psychisch gestörten und sozioökonomisch benachteiligten Personen auf. Bei wiederholt erlebter Insomnie kann es zu einer erhöhten Angst vor Schlaflosigkeit und zu einer ständigen Beschäftigung mit ihren Konsequenzen kommen. Dies führt zu einem Circulus vitiosus mit der Neigung zur Chronifizierung.

Patienten mit Insomnie fühlen sich zur Schlafenszeit angespannt, ängstlich, besorgt oder depressiv und empfinden ein Gedankenrasen. Häufig denken sie über ausreichenden Schlaf, persönliche Probleme, die Gesundheit und sogar den Tod nach. Oft versuchen sie, ihre Anspannung mit der Einnahme von Medikamenten oder Alkohol zu bekämpfen. Sie berichten, daß sie sich morgens körperlich und geistig müde fühlen und während des Tages depressiv, besorgt, angespannt, reizbar und übermäßig mit sich selbst beschäftigt sind.

Von Kindern sagt man oft, daß sie Schlafstörungen haben, wenn in Wirklichkeit das Problem eher im Umgang mit dem Zubettgehen als mit dem eigentlichen Schlaf besteht; Schwierigkeiten mit dem Zubettgehen sollten nicht hier, sondern in Kapitel XXI der ICD-10 (Z62.0, unzureichende elterliche Betreuung und Kontrolle) verschlüsselt werden.

Diagnostische Leitlinien

1.      Klagen über Einschlafstörungen, Durchschlafstörungen oder eine schlechte Schlafqualität.

2.      Die Schlafstörungen treten wenigstens dreimal pro Woche mindestens 1 Monat lang auf.

3.      Es besteht ein überwiegendes Beschäftigtsein mit der Schlafstörung und nachts und während des Tages eine übertriebene Sorge über deren negative Konsequenzen.

4.      Die unbefriedigende Schlafdauer oder -qualität verursacht entweder einen deutlichen Leidensdruck oder wirkt sich störend auf die Alltagsaktivitäten aus.

Immer wenn eine unzulängliche Schlafdauer oder Qualität des Schlafs die einzige Klage der Betroffenen sind, sollte die Störung hier klassifiziert werden. Andere psychiatrische Symptome wie Depression, Angst, Zwänge usw. entkräften die Diagnose einer Insomnie nicht, vorausgesetzt, die Insomnie ist die Hauptbeschwerde oder die Chronizität und Schwere der Insomnie ist für die betreffende Person die hauptsächliche Störung. Andere gleichzeitig auftretende Störungen sollten kodiert werden, wenn sie hinreichend deutlich und anhaltend genug sind, eine eigene Behandlung zu rechtfertigen. Zu beachten ist, daß die meisten chronisch schlaflosen Personen mit ihrer Schlafstörung meist stark beschäftigt sind und andere emotionale Probleme verneinen. Oft ist eine sorgfältige klinische Untersuchung notwendig, um die psychologische Ursache für die Beschwerden herauszufinden.

Differentialdiagnose:

Insomnie ist ein häufiges Symptom anderer psychischer Störungen wie z.B. affektiver, neurotischer, organischer und schizophrener Störungen, Eßstörungen, Abhängigkeit, anderer Schlafstörungen wie z.B. Alpträume. Insomnie kann auch bei körperlichen Krankheiten auftreten, bei denen es zu Schmerzen, Mißempfindungen oder Einnahme von bestimmten Medikamenten kommt. Wenn Insomnie als eines von vielen Symptomen einer psychischen oder körperlichen Krankheit auftritt, und nicht das klinische Bild bestimmt, wird nur die Diagnose der zugrundeliegenden psychischen oder körperlichen Krankheit gestellt. Darüberhinaus soll die Diagnose einer anderen Schlafstörung - Alpträume, Störung des Schlaf Wach Rhythmus, Schlafapnoe und nächtliche Myoklonien - nur gestellt werden, wenn diese zu einer Verminderung der Schlafdauer oder -qualität führt. Wenn die Insomnie bei den oben angegebenen Störungen eine Hauptbeschwerde ist und als eigenständiges Zustandsbild aufgefaßt wird, kann man die Insomnie zusätzlich zur Hauptdiagnose kodieren.

Die vorliegende Kodierung wird nicht bei der sogenannten "vorübergehenden Schlaflosigkeit" angewendet. Vorübergehende Störungen des Schlafes gehören zum täglichen Leben. Einige schlaflose Nächte im Zusammenhang mit psychosozialen Belastungen werden hier nicht mit einer Diagnose versehen. Nur im Zusammenhang mit anderen klinisch bedeutsamen Symptomen können sie als Teil einer akuten Belastungsreaktion (F43.0) oder einer Anpassungsstörung (F43.2) aufgefaßt werden.


F51.1 nichtorganische Hypersomnie


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Hypersomnie ist definiert entweder als exzessive Schläfrigkeit während des Tages und Schlafanfälle, die nicht durch eine unzureichende Schlafdauer erklärbar sind, oder als verlängerte Übergangszeiten vom Aufwachen aus dem Schlaf bis zum völligen Wachsein. Bei Fehlen einer organischen Ursache ist dieses Zustandsbild gewöhnlich mit psychischen Störungen verbunden. Häufig ist es ein Symptom einer bipolaren affektiven Störung, gegenwärtig depressiv (F31.3, F31.4 oder F31.5), einer rezidivierenden depressiven Störung (F33.-) oder einer depressiven Episode (F32.-). Zeitweilig werden die Kriterien für eine andere psychische Störung allerdings nicht erfüllt, auch wenn oft Hinweise für eine psychopathologische Ursache der Beschwerden zu finden sind.

Manche Patienten stellen selbst die Verbindung zwischen ihrer Neigung, zu unangemessener Zeit einzuschlafen, und bestimmten unangenehmen Erlebnissen während des Tages her. Andere verleugnen einen solchen Zusammenhang, selbst wenn ein erfahrener Kliniker solche Erlebnisse feststellt. In manchen Fällen können emotionale oder andere psychologische Faktoren nicht festgestellt werden, das Fehlen organischer Faktoren macht aber einen psychogenen Ursprung der Hypersomnie wahrscheinlich.

Diagnostische Leitlinien

1.      Übermäßige Schlafneigung oder Schlafanfälle während des Tages, nicht erklärbar durch eine unzureichende Schlafdauer oder einen verlängerten Übergang zum vollen Wachzustand (Schlaftrunkenheit).

2.      Diese Schlafstörung tritt täglich, länger als 1 Monat oder in wiederkehrenden Perioden kürzerer Dauer auf und verursacht eine deutliche Erschöpfung oder eine Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten.

3.      Keine zusätzlichen Symptomen einer Narkolepsie (Kataplexie, Wachanfälle, hypnagoge Halluzinationen) und keine klinischen Hinweise für Schlafapnoe (nächtliche Atempausen, typische intermittierende Schnarchgeräusche, etc.).

4.      Fehlen eines neurologischen oder internistischen Zustandsbildes, für das die Somnolenz während des Tages symptomatisch sein kann.

Wenn Hypersomnie nur als Symptom einer anderen psychischen Störung wie z.B. einer affektiven Störung auftritt, ist die Diagnose der zugrundeliegenden Störung zu stellen. Die Diagnose einer psychogenen Hypersomnie sollte jedoch hinzugefügt werden, wenn sie die vorherrschende Klage der betroffenen Person ist. Wenn eine andere Diagnose nicht gestellt werden kann, soll diese Kodierung allein verwendet werden.

Differentialdiagnose:

Die Hypersomnie ist von einer Narkolepsie zu unterscheiden. Bei der Narkolepsie (G47.4) sind gewöhnlich ein oder mehrere zusätzliche Symptome vorhanden wie Kataplexie, Schlaflähmung und hypnagoge Halluzinationen; den Schlafanfällen kann nicht widerstanden werden, sie sind erholsam, der Nachtschlaf dagegen ist fragmentiert und verkürzt. Im Gegensatz dazu treten bei einer Hypersomnie weniger Schlafanfälle pro Tage auf, sie sind jedoch von längerer Dauer. Die betroffene Person ist häufig in der Lage, sie zu verhindern; der Nachtschlaf ist meist verlängert, es besteht eine deutliche Schwierigkeit nach dem Aufwachen, den vollen Wachzustand zu erreichen (Schlaftrunkenheit).

Es ist wichtig, die nichtorganische Hypersomnie von Hypersomnie bei Schlafapnoe und anderen organischen Hypersomnien zu unterscheiden. Die meisten betroffenen Personen mit Schlafapnoe haben zusätzlich zu der übermäßigen Schlafneigung während des Tages nächtliche Apnoephasen in der Vorgeschichte, typische intermittierende Schnarchgeräusche, Adipositas, Hochdruck, Impotenz, kognitive Beeinträchtigungen, nächtliche Hypermotilität, übermäßiges Schwitzen, morgendliche Kopfschmerzen und Koordinationsstörungen. Bei Verdacht auf Schlafapnoe, kann die Bestätigung der Diagnose und die Quantifizierung der Apnoephasen durch Untersuchungen in einem Schlaflabor erfolgen.


F51.2 nichtorganische Störung des Schlaf-Wach- Rhythmus


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Eine Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus ist definiert als Mangel an Synchronizität zwischen dem individuellen Schlaf-Wach-Rhythmus und dem erwünschten Schlaf-Wach-Rhythmus der Umgebung. Dies führt zu Klagen über Schlaflosigkeit und Hypersomnie. Diese Störung kann psychogenen oder auch möglicherweise organischen Ursprungs sein, abhängig von der relativen Verteilung psychologischer oder organischer Faktoren.

Personen mit fragmentierten und wechselnden Schlaf- und Wachzeiten weisen meist erhebliche psychische Störungen auf, gewöhnlich in Verbindung mit verschiedenen psychiatrischen Zustandsbildern wie Persönlichkeitsstörungen und affektiven Störungen. Bei Patienten, die häufig die Arbeitsschicht wechseln oder über Zeitzonen hinweg reisen, ist die zirkadiane Dysregulation maßgeblich biologischer Natur. Eine starke emotionale Komponente kann ebenfalls wirksam sein, da diese Patienten in vielen Fällen erschöpft sind. Schließlich gibt es bei einigen Patienten eine Phasenverschiebung gegenüber dem erwünschten Schlaf-Wach-Rhythmus, als Folge einer intrinsischen Funktionsstörung des zirkadianen Oszillators (biologische Uhr) oder einer abnormen Verarbeitung der Zeithinweise, die die biologischen Uhren antreiben. Letzteres kann zu emotionalen oder kognitiven Störungen in Beziehung stehen.

Diese Kodierung ist den Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus vorbehalten, bei denen die psychologischen Faktoren im Vordergrund stehen, während Fälle mit mutmaßlich organischem Ursprung unter G47.2, d.h. als organische Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, zu klassifizieren sind. Die Entscheidung, ob die psychologischen Faktoren im Vordergrund stehen oder nicht und ob diese Kodierung oder G47.2 verwendet werden sollte, hängt von der klinischen Beurteilung ab.

Diagnostische Leitlinien

1.      Das individuelle Schlaf-Wach-Muster ist nicht synchron mit dem Schlaf-Wach-Rhythmus, der für eine bestimmte Gesellschaft normal ist und von den meisten Menschen der gleichen Kultur geteilt wird.

2.      Als Folge dieser Störung erlebt die betroffene Person Schlaflosigkeit während der Hauptschlafperiode und Hypersomnie während der Wachperiode, fast täglich für mindestens 1 Monat lang oder wiederkehrend für kürzere Zeiträume.

3.      Ungenügende Dauer, Qualität und der Zeitpunkt des Schlafs verursachen deutliche Erschöpfung oder behindern die Alltagsaktivitäten.

Wenn keine psychiatrische oder körperliche Ursache der Störung gefunden wird, ist diese Kodierung allein zu verwenden. Das Vorliegen psychiatrischer Symptome wie Angst, Depression, Hypomanie macht die Diagnose einer nicht-organischen Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus nicht ungültig, vorausgesetzt, die Schlafstörung herrscht im klinischen Bild des Patienten vor. Wenn psychische Symptome hinreichend ausgeprägt und andauernd vorhanden sind, ist die ensprechende Störung gesondert zu diagnostizieren.

Dazugehörige Begriffe:

psychogene Umkehr des circadianen Rhythmus

psychogene Umkehr des Nacht-Tag Rhythmus

psychogene Schlafumkehr


F51.3 Schlafwandeln (Somnambulismus)


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Schlafwandeln oder Somnambulismus ist ein Zustand veränderter Bewußtseinslage, in dem Phänomene von Schlaf und Wachsein kombiniert sind. Während des Schlafwandelns verläßt der Patient das Bett, meist während des ersten Drittels des Nachtschlafs, geht umher und zeigt eine niedrige Schwelle des Bewußtseins, der Reaktivität und motorischer Fertigkeiten. Schlafwandler verlassen manchmal ihr Schlafzimmer und zeitweilig auch das Haus. Sie sind dabei einem beträchtlichen Verletzungsrisiko ausgesetzt. Meist kehren sie jedoch ruhig zu ihrem Bett zurück, ohne Hilfe oder von einer anderen Person geführt. Nach dem Erwachen oder am nächsten Morgen besteht meist keine Erinnerung an das Schlafwandeln mehr.

Schlafwandeln und Pavor nocturnus (F51.4) hängen eng zusammen. Beide werden als Aufwachstörungen angesehen, die meistens aus den tiefsten Schlafstadien heraus auftreten (Stadien 3 und 4). Zahlreiche Patienten haben eines dieser Krankheitsbilder in der Familienanamnese und erleben auch beide Zustandsbilder. Beide Störungen sind in der Kindheit viel häufiger, was auf die Rolle von Entwicklungsfaktoren für die Ätiologie hinweist. Manchmal fällt das Auftreten dieser Störungen mit einer fiebrigen Erkrankung zusammen. Wenn sie über das Kindesalter hinaus fortbestehen oder während des Erwachsenenalters erstmals beobachtet werden, gehen beide Störungen meist mit deutlichen seelischen Schwierigkeiten einher. Solche Zustandsbilder können auch im höheren Lebensalter oder im Anfangsstadium einer Demenz erstmals auftreten. Aufgrund der klinischen und pathogenetischen Ähnlichkeiten zwischen Schlafwandeln und Pavor nocturnus und wegen der Tatsache, daß die Differentialdiagnose zwischen diesen Störungen im allgemeinen davon abhängt, welches der beiden Bilder vorherrscht, sind sie in letzter Zeit als Teil des gleichen nosologischen Kontinuums betrachtet worden. In Übereinstimmung mit der Tradition und um die Unterschiede in der Intensität ihrer klinischen Erscheinungsbilder zu betonen, sind in dieser Klassifikation getrennte Kodierungen vorgesehen.

Diagnostische Leitlinien

1.      Das vorherrschende Symptom ist ein- oder mehrmaliges Verlassen des Bettes und Umhergehen meist während des ersten Drittels des Nachtschlafs.

2.      Während der Episode hat die betreffende Person meistens einen leeren, starren Gesichtsausdruck, reagiert verhältnismäßig wenig auf die Bemühung anderer, das Geschehen zu beeinflussen oder mit ihr Kontakt aufzunehmen und ist schwer aufzuwecken.

3.      Nach dem Erwachen (entweder nach dem Schlafwandeln oder am nächsten Morgen) besteht keine Erinnerung an die Episode.

4.      Innerhalb weniger Minuten nach dem Aufwachen von der Episode besteht keine Beeinträchtigung der psychischen Aktivität oder des Verhaltens, obgleich anfänglich eine kurze Phase von Verwirrung und Desorientiertheit auftreten kann.

5.      Kein Hinweis auf eine organisch bedingte psychische Störung wie Demenz oder eine körperliche Störung wie Epilepsie.

Differentialdiagnose:

Schlafwandeln ist von psychomotorischen epileptischen Anfällen zu unterscheiden. Psychomotorische Anfälle treten selten nur nachts auf. Während eines epileptischen Anfalls besteht keine Reaktion auf Umweltreize, perseverierende Bewegungen wie Schlucken und Reiben der Hände sind häufig. Epiletische Entladungsmuster im EEG bestätigen die Diagnose, obwohl ein Anfallsleiden gleichzeitiges Schlafwandeln nicht ausschließt.

Eine dissoziative Störung (F44.1) muß gleichfalls vom Schlafwandeln abgegrenzt werden. Bei dissoziativen Störungen dauern die Episoden viel länger, die Betroffenen sind wach und zu komplexen zielgerichteten Verhaltensweisen imstande. Diese Störungen beginnen typischerweise im Wachzustand. Bei Kindern sind sie selten.


F51.4 Pavor nocturnus


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Beim Pavor nocturnus bestehen nächtliche Episoden äußerster Furcht und Panik mit heftigem Schreien, Bewegungen und starker autonomer Erregung. Die betroffene Person setzt sich oder steht mit einem Panikschrei meist während des ersten Drittels des Nachtschlafes auf. Häufig stürzt sie zur Tür, wie um zu entfliehen, aber nur selten verläßt sie den Raum. Bemühungen anderer, dieses Ereignis zu beeinflussen, können zu noch heftigerer Angst führen, da die Person nicht nur wenig auf solche Bemühungen reagiert, sondern für einige Minuten desorientiert sein kann; nach dem Erwachen besteht meistens keine Erinnerung an die Episode. Wegen dieser Charakteristika besteht während der Episoden von Pavor nocturnus ein großes Verletzungsrisiko.

Der Pavor nocturnus ist mit dem Schlafwandeln (F51.3) eng verwandt. Genetische, entwicklungsbedingte, organische und psychologische Faktoren spielen eine Rolle in ihrer Entwicklung und beide Zustandsbilder haben die gleichen klinischen und pathophysiologischen Charakteristika. Aufgrund ihrer vielen Ähnlichkeiten betrachtet man diese beiden Zustandsbilder in letzter Zeit als Teil des gleichen nosologischen Kontinuums.

Diagnostische Leitlinien

1.      Das vorherrschende Symptom sind ein- oder mehrmalige Epsisoden von Erwachen aus dem Schlaf, die mit einem Panikschrei beginnen und charakterisiert sind durch heftige Angst, Körperbewegungen und vegetative Übererregbarkeit wie Tachykardie, schnelle Atmung, Pupillenerweiterung und Schweißausbruch.

2.      Diese wiederholten Episoden dauern typischerweise 1 bis 10 Minuten und treten zumeist während des ersten Drittels des Nachtschlafs auf.

3.      Es besteht relative Unzugänglichkeit auf die Bemühungen anderer, den Pavor nocturnus zu beeinflussen und fast ausnahmslos folgen solchen Bemühungen zumindest einige Minuten von Desorientiertheit und perseverierenden Bewegungen.

4.      Die Erinnerung an das Geschehen ist gewöhnlich auf ein oder zwei fragmentarische Vorstellungen begrenzt oder fehlt völlig.

5.      Fehlen eines Hinweises auf eine körperliche Krankheit wie Hirntumor oder Epilepsie.

Differentialdiagnose:

Pavor nocturnus ist von Alpträumen zu differenzieren. Letztere sind die bekannten "schweren Träume" mit eventuell auftretendem Schreien und Körperbewegungen. Im Gegensatz zum Pavor nocturnus treten sie zu jeder Nachtzeit auf, der Patient erwacht leicht und hat eine detaillierte und lebendige Erinnerung an den Traum.

Bei der Differenzierung von Pavor nocturnus und epileptischen Anfällen ist zu beachten, daß epileptische Anfälle sehr selten nur während der Nacht auftreten; ein auffälliges EEG spricht allerdings für die Diagnose einer Epilepsie.


F51.5 Alpträume (Angstträume)


Klinisch-diagnostische Leitlinien

Alpträume sind Traumerleben voller Angst und Furcht mit sehr detaillierter Erinnerung an den Trauminhalt. Das Traumerleben ist sehr lebhaft, Themen sind Bedrohung des Lebens, der Sicherheit oder der Selbstachtung. Oft besteht eine Wiederholung derselben oder ähnlicher erschreckender Alptraumthemen. Während einer typischen Episode besteht eine autonome Stimulation, aber kein wahrnehmbares Schreien oder Körperbewegungen. Nach dem Aufwachen wird die betroffene Person rasch munter und orientiert. Sie kann gut mit anderen sprechen und sofort oder am nächsten Morgen den Traum meist detailliert schildern.

Bei Kindern müssen keine zusätzlichen psychopathologischen Auffälligkeiten bestehen, da Alpträume während der Kindheit mit einer spezifischen Phase der emotionalen Entwicklung in Zusammenhang stehen. Im Gegensatz dazu finden sich bei Erwachsenen mit Alpträumen häufig besondere psychische Auffälligkeiten, meist in Form einer Persönlichkeitsstörung. Daneben kann auch die Einnahme bestimmter psychotroper Medikamente, wie Reserpin, Thioridazin, trizyklische Antidepressiva und Benzodiazepine, zu Alpträumen führen. Weiterhin kann das plötzliche Absetzen von Medikamenten, wie nicht benzodiazepinhaltiger Hypnotika, die den REM Schlaf unterdrücken (also das Schlafstadium, in dem Träume auftreten) durch REM rebound verstärkte Träume und Alpträume auslösen.

Diagnostische Leitlinien

1.      Aufwachen aus dem Nachtschlaf oder nach kurzem Schlafen mit detaillierter und lebhafter Erinnerung an heftige Angstträume, meistens mit Bedrohung des Lebens, der Sicherheit oder des Selbstwertgefühls. Das Aufwachen erfolgt dazu zeitunabhängig, typischerweise aber während der zweiten Hälfte des Nachtschlafes.

2.      Nach dem Aufwachen aus ängstigenden Träumen wird die betroffene Person rasch orientiert und munter.

3.      Das Traumerlebnis und die daraus resultierende Schlafsstörung verursachen einen deutlichen Leidensdruck.

Dazugehörige Begriffe:

Angsttraumstörung

Differentialdiagnose:

Alpträume sind von Pavor nocturnus zu unterscheiden. Bei letzterem treten die Episoden während des ersten Drittels des Schlafs auf mit intensiver Angst, Panikschreien, übermäßigen Körperbewegungen und außerordentlich starker vegetativer Erregung. Beim Pavor nocturnus liegt sowohl unmittelbar nach der Episode als auch beim Erwachen am Morgen keine detaillierte Traumerinnerung vor.